Samstag, 8. März 2014

Man muss unbedingt den Anfängen wehren

13. Die zweite Regel ist, dass man sich bemühen muss, den unordentlichen Neigungen und Leidenschaften ernstlich Widerstand zu leisten, bevor sie erstarken; denn wenn eine Leidenschaft durch böse Gewohnheit erstarkt ist, wird es überaus schwer werden, sie zu überwinden. „Damit die Begierlichkeit," sagt der heilige Augustinus, "keine Stärke bekomme, so rotte sie aus, wenn sie noch klein ist." 

Eine Seele ist zum Beispiel geneigt, auf ein beleidigendes Wort eine bissige Antwort zu geben, oder bei irgend einer anderen Gelegenheit eine Person von schöner Gestalt anzusehen, — "Hier muss man gleich Anfangs Widerstand tun; sonst", sagt der heilige Ephräm, "wird aus dieser kleinen Wunde, wenn sie aufbricht, und man nichts für ihre Heilung tat, ein unheilbares Geschwür." 

Dies hat ein alter Mönch sehr geistreich gelehrt, wie der heilige Dorotheus erzählt. Der betagte Mann befahl einem seiner Lehrjünger ein Cypressenbäumchen aus der Erde zu reißen, was dieser sogleich tat. Dann befahl er ihm, er solle ein größeres ausreißen; da musste aber der Jünger schon alle Stärke anwenden, um dies zu Stande zu bringen.
Schließlich befahl er ihm, eine Cypresse, die schon tiefe Wurzeln geschlagen hatte, auszureißen; aber obwohl der Jünger alle Kräfte aufbot, vermochte er dies nicht mehr.
Darauf sprach der Altvater: "So sind unsere Neigungen beschaffen; so leicht es ist, sie anfangs auszurotten, eben so schwer fällt es hernach, wenn sie durch böse Gewohnheiten tiefe Wurzeln gefasst haben."

Und genau dies bestätigt die tägliche Erfahrung. Wenn dir eine Beleidigung widerfährt, so wirst du alsbald eine Regung des Zornes empfinden; wenn du diesen Funken gleich erstickst, dazu schweigst und die Sache Gott aufopfern, so erlischt das Feuer und du hast davon keinen Schaden, wohl aber ein großes Verdienst. Gibst du aber dieser Regung nach, indem du weiter darüber nachdenkst und deine Gereiztheit auch äußerlich zu erkennen gibst, so wird dieser nicht ausgelöschte Funke mit der Zeit eine große Flamme des Hasses werden. 
Oder es entsteht in deinem Herzen eine kleine Neigung zu einer Person; wenn du dich gleich anfangs von derselben entfernst, wird diese Liebe verschwinden; wenn du aber deiner Neigung weiter nachgibst, wird in kurzer Zeit eine schwere sündhafte Liebe daraus werden.*
Daher müssen wir uns mit aller Sorgfalt hüten, dass wir den wilden Tieren, die uns endlich verschlingen würden, keine Nahrung reichen.

*Praktisches Beispiel: Eine verheirate Frau fühlt sich auf ein neckendes Wort ihres ebenfalls verheirateten Nachbarn auf einmal zu diesem hingezogen. Statt sofort die Flucht zu ergreifen und durch Gebet und Beichte ernsthaft zu versuchen, diese sündhaften Neigungen aus ihrem Kopf zu bringen, denkt sie weiter über ihre "Gefühle" nach und schmiedet Pläne, wie sie den Nachbarn weiter auf sich aufmerksam machen kann. (Womit schon der Tatbestand des Ehebruchs erfüllt ist.) 
Nach einiger Zeit kommt es zu einem gemeinsamen Kinobesuch und zu einer Liebschaft, die in der zivilen "Scheidung" zweier sakramental geschlossener Ehen endet, unter denen insgesamt drei kleine Kinder leiden. 

Dieser fortgesetzte Ehebruch dauert mittlerweile schon 18 Jahre. Alle drei mittlerweile erwachsenen Kinder sind natürlich vom katholischen Glauben abgefallen. Der Ehemann der Frau, deren nicht bekämpfte Leidenschaft zu all den schweren Sünden geführt hat, hat mittlerweile eine Protestantin "geheiratet" und hat mit ihr ein Kind. Ebenso hat die Ehefrau des Nachbarn "wiedergeheiratet".

Obwohl die Frau, die alles ausgelöst hat, seit Jahren weiß, dass sie in schwerer Sünde lebt, bringt sie es nicht fertig, sich von dem Mann, mit dem sie fortgesetzt die Ehe bricht, zu trennen und redet sich schön, sie käme sicher doch noch ins Fegefeuer. (Es gibt aber ein Dogma, das besagt, dass die Seele desjenigen, der im Zustand der persönlichen schweren Sünde stirbt, auf ewig in die Hölle eingeht.) Man sieht hier sehr gut die Lehre des hl. Thomas  von Aquin bestätigt, nämlich, dass Unkeuschheit geistig blind macht.
So kann eine nicht bekämpfte innere Versuchung einer Person zu schweren fortgesetzten öffentlichen Sünden gleich mehrerer Personen führen.