Freitag, 31. Januar 2014

Mittel, um zur Vollkommenheit zu gelangen

8. Wir wollen jetzt zur Übung der Mittel kommen, denn eben die Übung ist ja am Nützlichsten. Die Mittel zur Vollkommenheit zu gelangen, sind folgende: 

Das fortdauernde Kreuesopfer
Erstens das beschauliche Gebet, da man betrachtet, wie sehr Gott geliebt zu werden verdient, und die Liebe, die Gott zu uns getragen hat, zuvorderst in dem großen Werke der Welterlösung, wo ein Gott Sein Leben in einem Meere der bittersten Schmerzen und Verachtungen für uns opfert, ja, damit nicht zufrieden, Sich Selbst uns zur Speise gibt, um Sich unsere Liebe zu gewinnen. Diese Wahrheiten entzünden eine Seele nicht, es sei denn, man betrachtet sie.

In meiner Betrachtung hat sich ein Feuer entzündet (
Psalm. 38, 4). David sagt: wenn ich die unendliche Güte meines Gottes betrachte, werde ich angeeifert, Ihn zu lieben. Der heilige Aloisius Gonzaga sagte, dass eine Seele nie eine hohe Stufe der Vollkommenheit ersteigen werde, wenn sie nicht zuvor zu einer hohen Stufe des beschaulichen Gebetes gelangt ist. — 

Zweitens muss man den Vorsatz, in der göttlichen Liebe zuzunehmen, stets erneuern. Hierzu ist sehr nützlich, daß man sich vorstelle als ob jeder Tag der erste wäre, wo man den Weg zur Vollkommenheit antritt. So machte es David, der immer die Worte wiederholte: Ich habe gesprochen: Jetzt will ich anfangen (Psalm. 76, 11). 
Dies ist die letzte Lehre gewesen, die der heilige Abt Antonius seinen geistlichen Söhnen hinterlassen hat: „Meine Söhne," sprach er, „stellt euch vor, dass jeder Tag der erste sei, an dem ihr anfanget Gott zu dienen."— 

Drittens muss man eine immer wiederholte Erforschung der Mängel und Fehler anstellen, die in der Seele sind, aber eine scharfe Erforschung, wie der heilige Augustinus sagt, welche dem Gewissen nicht schmeichelt. „Es muss dir mißfallen, was du bist, wenn du werden willst, was du nicht bist, sonst," fahrt der Heilige fort, „wenn du an der Stufe, auf der du stehst, Wohlgefallen hast, wirst du auch auf ihr verbleiben; denn da du mit dir selbst zufrieden bist, wirst du die Begierde weiter zu kommen, verlieren." 

Hier setzt er den berühmten Ausspruch hinzu, der jenen Seelen großen Schrecken einjagen soll, die sich selbst gefallen, und geringe Sehnsucht haben, in der Tugend und Vollkommenheit zuzunehmen: „Da du gesagt hast," sind die Worte des großen Kirchenvaters, „mir genügt die Vollkommenheit, die ich habe, warst du verloren, weil auf dem Wege Gottes nicht vorwärts schreiten, so viel heißt, als rückwärts gehen," wie schon erwähnt worden, und wie es der heilige Bernardus mit kurzen Worten erklärt, da er schreibt: „Wer nicht zunehmen will, nimmt ab." 
Darum ermahnt uns der heilige Johannes Chrysostomus, dass wir an die Tugenden gedenken sollen, die uns mangeln, nie aber an das geringste Gute, das wir getan haben; denn an das Gute denken, sagt der Heilige, dient zu nichts, als uns auf dem Wege des Geistes träge zu machen, uns mit eitler Ehre zu erfüllen, und uns der Gefahr auszusetzen, alles Gewonnene zu verlieren. „Wer den Weg der Vollkommenheit läuft," fährt der heilige Chrysostomus fort, „berechnet nicht den zurück gelegten Weg, sondern jenen, den er noch machen muss, damit er zur Vollkommenheit gelange." 

Eifrige Seelen wachsen im Eifer, je näher sie zum Ziele des Lebens kommen, gerade: als grüben sie nach einem Schatze, wie der geduldige Job sich ausdrückte (Job. 3,21). „Die nach einem Schatze graben," sagt der heilige Gregorius, „beschleunigen die Arbeit um so mehr, je mehr sie schon gegraben haben, um bald zu dem ersehnten Schatz zu kommen." 
So bemühen sich auch jene, die nach Vollkommenheit streben, um so mehr weiter zu kommen, als sie bemerken, dass sie schon vorwärts gedrungen sind.

Siehe auch:
Durch welches Mittel alle Heiligen zur Heiligkeit gelangt sind

Kraftlose fromme Begierde nutzt wenig

7. Ich sage, mit wahrer und entschlossener Begierde, denn die unkräftigen Begierden nützen wenig, womit sich träge Seelen einwiegen, die zwar immer gehen, aber auch nicht einen Schritt auf Gottes Wegen tun. 
Von diesen redet Salomon, da er sagt: Der Faule will und will nicht (Prov. 13,4), und an einem anderen Orte: Begierden töten den Faulen (Prov. 21,35). 
Eine kalte Seele hat eine Begierde nach Vollkommenheit; sie entschließt sich aber nie die Mittel zu ergreifen, um sie zu erlangen. Einerseits will sie selbe, da sie sieht, wie wünschenswert die Vollkommenheit ist; andererseits will sie nicht, da sie die Mühe
und Arbeit betrachtet, die man anwenden müsste, um zu ihr zu gelangen: daher will sie die Vollkommenheit, sie will sie aber doch eigentlich nicht, sie verlangt dieselbe, aber verlangt sie nicht kräftig. 

Wenn sie doch ja heilig zu werden verlangt, so verlangt sie es durch Mittel zu werden, die über ihren Stand sind; sie sagt: O, dass ich doch in einer wilden Einöde wäre, ich würde stets beten und  Bußwerke verrichten! O, dass ich in einem Kloster wäre,ich wollte mich gern in eine enge Zelle einschließen und meine Gedanken mit Gott allein beschäftigen! Wäre ich recht gesund, so wollte ich viele Leibeskasteiungen vornehmen. 
Ich wollte, ich wollte! spricht die kalte Seele, und indessen erfüllt die armselige jene Pflichten nicht, die sie nach ihrem gegenwärtigen Stande hat. Sie betet wenig, ja sie unterlässt nicht selten sogar das wenige schlechte Gebet; sie geht selten zum Tische des Herrn; geht wenig in die Kirche, erträgt mit geringer Geduld und mit geringer
Ergebung in den Willen Gottes, das Ungemach der Krankheiten; sie begeht, mit einem Worte, alle Tage vorsätzliche Fehler mit offenen Augen, und begehrt ganz und gar nicht diese zu verbessern. 

Was wird es wohl dieser Seele helfen, dass sie so viele, ihrem gegenwärtigen Stande unmögliche Dinge verlangt, da sie doch die Pflichten, die sie wirklich hat, versäumt? Die Begierden töten den Faulen. 
Derlei unnütze Begierden werden sie nur um so gewisser zu Grunde richten; denn sie wird sich fruchtlos an denselben weiden, und darüber die Mittel außer Acht lassen, die sie gleich jetzt zur Erlangung der Vollkommenheit und ihres ewigen Heils ergreifen sollte. Diesbezüglich hat der heilige Franz von Sales so weise gesprochen: „Ich heiße es nicht gut, dass eine Person, welche zu einer Pflicht oder zu einem Berufe gehalten ist, nach einer anderen Lebensart ein Verlangen trage, außer nach der, die ihrem Amte gemäß ist, oder dass sie nach anderen, mit ihrem gegenwärtigen Stande unverträglichen Übungen sich sehne: weil dies das Herz zerstreut und in notwendigen Übungen träge macht." 

Überdies erinnert die heilige Theresia: „Der Teufel macht uns glauben, dass wir irgend eine Tugend, zum Beispiele die der Geduld, schon haben, weil wir uns entschließen, viel für Gott zu leiden, und es dünkt uns, dass wir wirklich jede Widerwärtigkeit erdulden würden; wir sind vergnügt, weil uns der Teufel dazu hilft, dass wir dies glauben. 
Ich ermahne euch, dass ihr aus diesen Tugenden nicht viel Aufhebens macht, noch euch einbildet, dass ihr sie außer dem Namen nach kennt, so lange nicht die Probe und das Werk selbst sich zeigt; denn es wird geschehen, dass auf ein einziges Wort, das euch Verdruss verursacht, die Geduld in Trümmer gehe." 

8. Wir wollen jetzt zur Übung der Mittel kommen, denn die Übung ist ja am Nützlichsten.


Gottselige Begierden

6. Darum kommt alles darauf an, dass wir unsere Begierden zu großen Dingen erheben, und etwa Gott mehr lieben wollen als alle Heiligen; aus Liebe zu Ihm mehr leiden wollen, als alle Märtyrer; dass wir Schmach und Unbild geduldig tragen und verzeihen; dass wir alle Mühe und Arbeit gern auf uns nehmen wollen, um eine einzige Seele zu retten, und dergleichen. 
Erstens, weil die Begierden, ob sie schon auf Dinge zielen, die nicht geschehen werden, dennoch bei Gott sehr verdienstlich sind; denn so wie Er den verkehrten, boshaften Willen hasst, also hat Er auch am guten Willen Wohlgefallen. Zweitens, weil die Seele durch derlei Begierden nach großen Dingen beherzter wird, Leichteres zu vollziehen. 

Darum ist es so nützlich, dass man sich gleich morgens vornehme, für Gott so viel zu tun, als man nur immer kann, alle Widerwärtigkeiten mit Geduld zu ertragen, stets versammelt und in Übung der Liebe zu Gott beschäftigt zu sein. So machte es der heilige Franz von Assisi, wie der heilige Bonaventura erzählt: Er nahm sich vor, mit der Gnade Jesu Christi große Taten zu tun. Die heilige Theresia sagt: „Der Herr hat an gottseligen Begierden solches Wohlgefallen, als ob sie im Werke wären vollzogen worden." 

O! um wie viel ist es besser, mit Gott zu tun zu haben, als mit der Welt! Damit man die Güter der Welt bekomme, als Reichtümer, Ehrenstellen, öffentliches Lob und dergleichen, ist es nicht genug, dass man Verlangen darnach trage, ja die Begierde danach vermehrt oft nur die Qual und den Verdruß, wenn man jener Dinge nicht habhaft werden kann; bei Gott aber ist es hinreichend, dass man Begierden nach Seiner Gnade und Liebe hege, um derselben teilhaftig zu werden. 

Das war es, was der kaiserliche Hofherr, von dem der heilige Augustinus erzählt, meinte, als er sich mit noch einem Hofherrn des Kaisers in einem Einsiedlerkloster befand, und das Leben des heiligen Abtes Antonius zu lesen angefangen hatte. Er las (schreibt der heilige Augustinus) und da er las, ward sein Herz von der Welt entfernt und ihr entzogen. 
Er wandte sich zu dem anderen und sprach zu ihm: Mein Freund! wie töricht handeln wir, was suchen wir, da wir dem Kaiser mit so großer Mühe, Furcht und Angst dienen? Können wir wohl eine größere Hoffnung haben, als dass wir seine Freunde werden? Und wenn wir dieses Glück haben sollten, was werden wir anders tun als unsere Seligkeit einer größeren Gefahr aussetzen. Doch nein, wir werden kaum dahin gelangen, dass wir den Kaiser als unsern Freund betrachten können! 
Er schloß dann: wenn ich ein Freund Gottes sein will, siehe, so bin ich es, weil (wollte er sagen) derjenige die Freundschaft Gottes erhält, der sie mit wahrer entschlossener Begierde erhalten will. 


Wie man Mut bekommt, nach Vollkommenheit zu streben

5. Die heilige Theresia gibt hierüber in ihren Büchern viele schöne Aufschlüsse. Sie sagt: „Unsere Gedanken müssen großartig sein, denn von daher kommt unser Heil."
An einem anderen Orte schreibt sie: „Man muss keine kleinen Begierden hegen, sondern auf Gott vertrauen; denn wir werden, wenn wir uns bemühen, nach und nach dahin gelangen, wohin mit Seiner Gnade die Heiligen gelangt sind." An anderer Stelle sagt sie: „Die göttliche Majestät liebt die großmütigen Seelen, die jedoch auf sich selbst Mißtrauen setzen." Die seraphische Jungfrau bezeugte aus Erfahrung, sie habe keine verzagte Seele gesehen, die in vielen Jahren einen so großen Weg zurückgelegt habe, als andere beherzte in wenigen Tagen. — 


Dass man aber Mut bekomme, dazu hilft die Lesung der Lebensbeschreibung der Heiligen, besonders jener, die aus großen Sündern große Heilige geworden sind, wie eine heilige Büßerin Maria Magdalena, ein heiliger Augustinus, eine heilige Maria von Ägyten und vornehmlich eine heilige Margareta von Cortona, die sich viele Jahre im Stande der Todsünde befunden, aber in diesem elenden Stande eine solche Begierde, heilig zu werden, hegte, dass sie dann in der Tat, nachdem sie sich zu Gott bekehrt hatte, so schnell zur Vollkommenheit flog, dass sie noch während ihres Lebens von Gott die Versicherung erhielt, dass sie nicht nur zur ewigen Seligkeit bestimmt*, sondern ihr auch im Himmel ein Sitz unter den Seraphim bereitet sei. 


Eben diese heilige Theresia sagt an einem anderen Orte, dass der Höllengeist nichts weniger leiden könne, als dass man großherzige Begierden habe, und den Heiligen nachfolgen wolle. Er flüstert uns dann ein, das sei Hoffart. 

Es ist aber, setzt die Heilige hinzu, keine Hoffart, und eben, weil es keine Hoffart ist, wenn die Seele auf sich selbst Mißtrauen und auf Gott all ihr Vertrauen setzt, so macht sie sich auf, den zur Vollkommenheit großmütig und mit Riesenschritten zu wandern, mit dem Apostel sprechend: Ich vermag alles in Dem, Der mich stärkt (Philipp. 4,3). 
Mit meinen Kräften kann ich nichts, mit Gottes Hilfe aber vermag ich alles; daher fasse ich den Entschluss, dass ich mit Seiner Gnade Ihn so lieben will, wie die Heiligen Ihn geliebt haben.

* Anmerkung: Das ist eine außergewöhnliche Gnade, die nur großen Heiligen zuteil wird.


Donnerstag, 30. Januar 2014

Von der Begierde nach Vollkommenheit

3. Darum ist es, nach der Lehre des Apostels, so notwendig , dass man in dem Geschäfte des ewigen Heils nie still stehe, sondern auf dem Tugendwege laufe, bis man dahin gelangt, wo man das Kleinod des ewigen Lebens ergreifen kann: Laufet also, dass ihr es ergreifet (1. Kor. 9,24). Und es ist wohl zu merken, dass, wenn es fehlschlägt, dies durch unsere Schuld geschieht: denn Gott will, dass Alle heilig und vollkommen werden sollen. Dieses ist der Wille Gottes, eure Heiligung (Thess. 4,3).
Ja,er befiehlt uns,heilig und vollkommen zu sein: Darum sollet ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist (Matth. 5,48). Seid heilig, wie auch Ich heilig bin (Lev. 11,44). 
Er verspricht und reicht Allen Hand und Hilfe in allen Dingen, die Er befiehlt, wenn wir Ihn nur darum bitten, wie der heilige Kirchenrat von Trient lehrt (Conc. Trid. Sess. 6.c.13.). 

Gott befiehlt keine unmöglichen Dinge; denn, da Er uns befiehlt, ermahnt Er uns, das zu tun, was wir mit der gewöhnlichen Gnade tun können; und wo eine größere Gnade nötig ist, ermahnt Er uns, zu begehren, was wir nicht tun können; und wenn wir Ihn darum anflehen, so gibt er uns Seine Gnade, damit wir vollziehen können, was Er befiehlt. So seid guten Mutes! 


4. Der heilige Augustin spricht: Das ganze Leben eines frommen Christen sei eine unaufhörliche Begierde nach Vollkommenheit. Der also die Begierde; heilig zu werden, im Herzen nicht nährt, der ist zwar ein Christ, aber kein frommer und guter Christ. 

Kurz, wie kein Mensch auf Erden zu finden ist, der zur Vollkommenheit in einer Wissenschaft oder Kunst gelangt wäre, es sei denn, dass er eine Begierde gehegt hätte, sie zu erlangen: so ist auch nie ein Heiliger gewesen, der die Heiligkeit erreicht hätte, ohne nach ihr ein großes Verlangen getragen zu haben.
Die heilige Theresia pflegte zu sagen; „Für gewöhnlich gibt Gott nur denen besonders große Gnaden, die eine große Begierde nach Seiner Liebe haben." 

Und der gekrönte prophetische Sänger spricht: "Selig der Mensch, der von Dir Hilfe erwartet, der in seinem Herzen Aufsteigungen bereitet hat, da er in dem Jammertale wohnt. — Er wird in Tugend zunehmen" (Psalm 83,6). 

Selig ist der Mensch, der in seinem Gemüte den Entschluss gefasst hat, seine ganze Lebenszeit hindurch von Stufe zu Stufe bis auf den Gipfel der Vollkommenheit zu steigen; ein Solcher wird von Gott reichliche Hilfe erlangen, und von Tugend zu Tugend wandern. 

So haben es die Heiligen gemacht; besonders der heilige Andreas Avellinus: der sich mit einem Gelübde verbunden, auf dem Wege der Vollkommenheit immer mehr vorzuschreiten. Die heilige Theresia sagt: „Gott lasse auch in diesem Leben eine gute gottselige Begierde nicht unbelohnt." Und auf diese Weise sind die Heiligen, durch fromme Begierden in kurzer Zeit zu einer hohen Stufe der Vollkommenheit gelangt. Er wurde bald hingenommen und hat doch viele Zeit erfüllt (Sap. 4,13). 


Der heilige Aloisius Gonzaga hat in wenigen Jahren (er zählte

nicht mehr als und drei zwanzig Lebensjahre) einen solchen Grad der Vollkommenheit erstiegen, dass die heilige Maria Magdalena von Pazzis, als sie ihn im Geiste im Himmel sah, sprach, es dünkte sie auf gewisse Weise, daß kein Heiliger im Himmel sei, der einer größeren Glorie genösse, als Aloisius. Dabei hat diese heilige Jungfrau vernommen, dass Aloisius zu diesem Grade der Herrlichkeit durch eine inbrünstige Begierde gelangt sei, die er stets gehegt hatte, Gott so zu lieben, wie Er geliebt zu werden verdient, und dass der heilige Jüngling, weil er sah, er könne dahin nicht gelangen, (denn Gott verdient, mit unendlicher Liebe geliebt zu werden) auf dieser Erde eine Pein der Liebe ausgestanden, die ihn zu einer so übergroßen Glorie erhoben hat.

Warum man Vollkommenheit begehren muss

Erstes Hauptstück.

Von der Begierde einer christlichen Seele nach Vollkommenheit.

1. Wenn du wahrhaft fromm und vollkommen werden willst, geliebter Christ, so musst du vor allem ein aufrichtiges Verlagen nach Vollkommenheit haben.



Wie ein Jäger, welcher einen Vogel im Fluge schießen will, immer weiter, als nach jenem Punkte zielen muss, wo er den Vogel sieht: eben so muss man, um zur Vollkommenheit zu gelangen, stets nach dem höchsten Grade der Heiligkeit, welcher nur immer zu erreichen ist, mit seinen Begierden zielen. 
David ruft aus: "Wer wird mir Flügel, wie einer Taube geben, dass ich hinfliegen und ruhen könne?" (Psalm 34,7) Die heiligen Begierden sind ihm jene glücklichen Flügel, womit sich heilige Seelen von der Erde erheben, und auf den Berg der Vollkommenheit erschwingen, wo sie jenen Frieden, jene Ruhe finden, die sie in der Welt vergebens suchen. 

Wie bewirkt jedoch die heilige Begierde, dass sich die Seele zu Gott erhebt? Dieses erklärt der heilige Laurentius, Patriarch von Venedig: „Einerseits gibt die fromme Begierde Kräfte, andererseits macht sie die Mühe und Arbeit geringer, den steilen Berg zu besteigen." 
Wer keine Begierde nach Vollkommenheit hat und an der Erreichung seines Zieles verzagt, wird sich auch nie bemühen, sie zu erlangen. Wer einen hohen Berg sieht, und nicht auf den Gipfel zu klettern verlangt, wo er weiß, dass ein Schatz zu finden sei, wird nicht einen Schritt tun, um hinauf zu steigen: sondern wird gleichgültig und müßig unten stehen bleiben. Also, wer keine heilige Begierde hat, den Schatz der Vollkommenheit zu finden, weil er die hierzu nötige Mühe für allzu groß hält, der wird in seiner Lauheit immer nachlässig bleiben, ohne auf dem Wege Gottes beherzte Schritte zu wagen.

2. Ja, wer auf dem Wege des Herrn nicht vorwärts zu gehen verlangt, wird, wie alle Lehrmeister des christlichen Tugendlebens sagen, und wie es die Erfahrung bestätigt, zurückgehen, und sich großer Gefahr aussetzen, ewig verloren zu gehen. 


Dasselbe sagt der weise Salomon: Der Weg der Gerechtigen ist wie ein glänzendes Licht, geht fort und wächst bis zum vollen Tag. (Sprichw. 4,18) Der Weg der Sünde hingegen wird von Finsternissen immer mehr verdunkelt, bis die Armseligen dahin kommen, wo sie nicht mehr wissen, ob, wann, und wohin sie fallen. Der heilige Augustinus sagt: „Auf dem Wege des Geistes nicht vorwärts gehen heißt zurück schreiten." 
Dieses erklärt auch schon der heilige Gregorius durch das Gleichnis eines Schiffers; der Heilige sagt: „Wer sich auf einem Flusse in einem Schifflein befindet und dasselbe gegen den Strom zu treiben sich nicht bemüht, sondern still halten wollte, ohne weder vorärts noch rückwärts zu fahren, würde notwendig rückwärts schwimmen, weil ihn der Strom selbst fortreißen würde." 

Der Mensch ist nach der Sünde Adams natürlicher Weise von seiner Geburt an zum Bösen geneigt. Der Sinn und die Gedanken des menschlichen Herzen sind von Jugend auf zum Bösen geneigt. (Gen. 8.21) Wenn nicht vorwärts trachtet und sich Gewalt antut, besser und frömmer zu werden, als er schon ist, den wird der Strom der menschlichen Begierden rückwärts mit fortreißen. 
Der heilige Bernardus fragt: Seele, du willst im Geiste nicht zunehmen? so willst du also abnehmen. — Du antwortest: Keineswegs! — Was willst du denn sonst? fragt der heilige Abt von Clairvaux weiter. — Du sagst: Ich will in dem Stande bleiben, in dem ich bin; ich will weder besser noch schlimmer werden. Du bist also etwas, antwortet der heilige Bernardus, was unmöglich sein kann ; denn auf dem Wege Gottes muss man entweder vorwärts gehen und in den Tugenden zunehmen, oder rückwärts gehen, und sich in den Abgrund der Laster stürzen.


Vorwort des deutschen Übersetzers

P. Anton Passy war, wie der der hl. Alphons, der Gründer des Ordens, Redemptorist.

Vo r w o r t.

Der heilige Alphons Maria von Liguori hat sein Werk: „Die wahre Braut Christi" eigentlich für Ordensleute geschrieben, um ihnen den Weg zur christlichen Vollkommenheit zu zeigen; da aber diese Anleitung zur christlichen Vollkommenheit, nebst den übrigen Vorzügen, welche jedem Werke des heiligen Alphons eigen sind, auch den der
größten Vollständigkeit besitzt, so konnte es nicht anders kommen, als dass in dieser Schrift auch alle jene Gegenstände berührt wurden, welche sowohl Ordensleute, als auch alle Christen ohne Ausnahme angehen.

Der erste deutsche Herausgeber dieses Buches hat daher, um es gemeinnütziger zu machen, die sinnreiche Trennung vorgenommen, das, was bloß Ordensleute angeht, in einen Band für sich unter dem Titel: „Braut Christi" zusammenzufassen, und das besonders herauszugeben, was zwar gleichfalls an Ordensleute, doch eben so gut auch an alle und jede, die in der Welt lebend, guten Willens sind, gerichtet ist. Ich fand allen Grund bei der neuen Herausgabe des ganzen Werkes diese Methode beizubehalten.

Die in drei Ausgaben vorliegende von mir neu herausgegebene „Braut Christi" hat bei allen Ordensleuten ausgezeichnete Teilnahme gefunden; ihnen überreiche ich nun mit gegenwärtigem Bande die Fortsetzung und Vollendung des ganzen Werkes.

Alle guten Christen, die in der Welt leben, erhalten mit vorliegendem Buche ein für sich bestehendes Werk, das alles enthält, was auch sie zur standesmäßigen christlichen Vollkommenheit führen kann.

An alle frommen Christen — in den Klöstern und außerhalb derselben—richte ich dabei die Bitte: sie möchten, da ich durch die neue deutsche Herausgabe dieses Buches ihnen nützlich zu werden mich bemühte, meiner dafür in ihren heiligen Gebeten eingedenk sein.

Wien, am 9. April 1853.

A n t o n P a s s y.

Nachtrag von mir:

Da sich in der Übersetzung von P. Passy eine schwere Ungereimheit befand, die sich leider als Übersetzungsfehler herausstellte beim Vergleich mit der Ausgabe eines anderen Übersetzers (oder vielleicht auch ein Fehler des Schriftsetzers war), werde ich beide Übersetzungen so mischen, dass für heutige Zeiten die bestverständliche Form erreicht wird. Der zweite Übersetzer, auch ein Redemptorist, der seinen Namen nicht nennen wollte, hatte teilweise einen für heutige Zeiten verständlicheren Stil. Daher folgt hier auch das schöne Vorwort der anderen Übersetzung:

Vorrede

Auf den Schriften der Heiligen ruht ein besonderer Segen. Ihr Wort ist Geist und Wahrheit; ihr Leben und ihre Werke geben dafür laut Zeugnis; denn was sie lehren und von uns verlangen, das haben sie selbst treu geübt und so ihre Lehre durch ihr Beispiel besiegelt. Sie haben den guten Kampf gekämpft, die Schule der Leiden durchgemacht, die Feuerprobe bestanden, die jeder bestehen muss, der mit ihnen nach vollbrachtem Kampfe am ewigen Lohne teilnehmen will. Aus jeder Zeile ihrer Schriften tönt uns das Wort des heiligen Augustin entgegen: "Konnten es diese, warum nicht auch ich?"

Ich übergebe dir darum, lieber Leser, das vorliegende Buch mit großem Vertrauen und in der zuversichtlichen Hoffnung, dass du daraus für dein Seelenheil großen Nutzen schöpfen werdest. Die herzliche, ungekünstelte Sprache, in der dir ein Heiliger die eindringlichsten Lehren, die kräftigsten Aussprüche der Heiligen und die treffendsten Beispiele aus ihrem Leben vorführt, wird gewiss den Weg zu deinem Herzen finden und jene Früchte des Heiles hervorbringen, die der heilige Verfasser mit allen seinen Schriften zu erzielen suchte.

Dem Herausgeber liegt nur noch ob zu bemerken, dass er diese neue Ausgabe getreu aus der Sposa di Cristo übertragen und nach dem Wunsche des heiligen Alphons (in der Vorrede zur Braut Christi) für Weltleute eingerichtet hat, indem er ohne wesentliche Veränderung nur dasjenige aufnahm, was alle Christen angeht.

Altötting, am Feste der unbefleckten Empfängnis Mariä 1851.


Der Herausgeber.

Dies ist das Deckblatt aus einer anderen Ausgabe und Übersetzung des Werkes des hl. Alphons, kostenlos herunterzuladen hier