Dienstag, 11. März 2014

Fünftes Hauptstück: Von der Abtötung der Sinne

1. Es gibt keinen Ausweg, wir Kinder Adams müssen bis zum Tod im immerwährenden Kriege auf Erden leben. Das Fleisch gelüstet gegen den Geist, der Geist aber gegen das Fleisch (Gal. 5,17). 
Wenn es nun unvernünftigen Tieren zukommt, den Sinnen zu folgen; den Engeln aber, dem göttlichen Willen Gehorsam zu leisten, so werden wir, wie ein Gelehrter mit Recht sagt, Engeln ähnlich, wenn wir bemüht sind, Gottes Willen zu tun; sobald wir aber nur unsere Sinne und Lüste zu befriedigen suchen, werden wir den unvernünftigen Tieren ähnlich werden. 

Es gibt nur diese zwei Möglichkeiten: entweder bringt die Seele den Leib unter ihre Herrschaft, oder der Leib wird die Seele in seine Herrschaft bringen. 

Darum sollen wir unseren Leib behandeln, wie ein Reiter ein unbändiges Pferd immer im Zaume hält, damit es ihn nicht abwerfe; oder wie ein Arzt die Kranken, denen er Arzneien, die sie ungern nehmen, verschreibt, ihnen schädliche Speise und Trank aber verbietet, auch wenn sie solche noch so sehr verlangen. Gewiss wäre jener Arzt grausam, dem es gleichgültig wäre, wenn der Kranke die vorgeschriebenen Arzneien nicht nähme, weil sie bitter sind, aber erlaubte, was dem Kranken beliebt, obwohl es ihm schädlich ist. 

Mit solcher großen Grausamkeit aber behandeln fleischlich gesinnte Menschen ihre eigene Seele; denn sie setzen, nur um ihren Leib nicht das Mindeste auf Erden leiden zu lassen und ihm nichts zu versagen, Leib und Seele zugleich der großen Gefahr aus, die Ewigkeit hindurch unendliches Leiden ausstehen zu müssen. 

„Die falsche Liebe," sagt der heilige Bernard, „vernichtet die wahre Liebe, die wir gegen uns selbst haben sollten; ein solches Mitleid gegen den Leib ist überaus grausam; denn man dient dem Leib auf eine Weise, dass dabei die Seele getötet wird." Den fleischlich gesinnten Menschen, die über die Diener Gottes, die ihr Fleisch abtöten, lachen und spotten, sagt er folgende Worte: „Wir sind grausam gegen unseren Leib und plagen ihn mit Bußwerken: ihr seid aber viel grausamer; denn da ihr eueren Leib in diesem Leben vergnügt und hätschelt, verdammt ihr ihn samt der Seele in dem anderen Leben zu ewigen, unendlich größeren Peinen."

Darum hat jener fromme Einsiedler, der sich, wie P. Rodriguez erzählt, mit den strengsten Bußwerken abtötete, als er gefragt wurde, warum er seinen Leib so plage, weise geantwortet: „Ich verfolge den Feind, der mich verfolgt, und mich töten will." Auf gleiche Art hat der Abt Moses jenem geantwortet, der ihn seiner Strenge wegen tadelte: „Sobald mein Fleisch aufhören wird, mich zu plagen, so werde auch ich aufhören, es abzutöten."