Mittwoch, 2. April 2014

Sechstes Hauptstück: Von der Abtötung der Augen und von der Eingezogenheit

Von der Abtötung der Augen

1. Fast alle Leidenschaften, die den Geist bekriegen, haben ihren Ursprung in dem Mangel an Obhut über die Augen; denn die unordentlichen Neigungen und Leidenschaften kommen meistens vom Sehen. 


Daher hat Job gesprochen : Ich habe einen Bund mit meinen Augen gemacht, auf dass ich keinen Gedanken an eine Jungfrau hätte (Job 31,1). Warum aber hat Job gesagt: dass ich keinen Gedanken hätte? 
Es scheint, er hätte vielmehr sagen sollen, ich habe einen Bund gemacht, dass ich keine Jungfrau ansehen wolle. Nein, er hat sehr weise gesagt, dass er keinen Gedanken hätte; denn das Denken ist mit dem Sehen so eng verbunden, dass eines von dem anderen nicht getrennt werden kann. Darum hat der Heilige, damit er von Gedanken nicht geplagt würde, sich vorgenommen, keiner Jungfrau ins Angesicht zu sehen. 

Der heilige Augustinus sagt: „Auf das Sehen folgt das Denken, und auf das Denken das Wohlgefallen, auf das Wohlgefallen die Einwilligung;" oder: aus dem Ansehen entsteht der Gedanke, aus dem Gedanken das Verlangen, und auf das Verlangen folgt die Einwilligung. Was man nicht sieht, sagt der heilige Franz von Sales, verlangt man auch nicht. 


Hätte Eva den verbotenen Apfel nicht angesehen, sie würde nicht gefallen sein; weil sie ihn aber angesehen und im Ansehen ihn schön befunden hat, darum pflückte sie ihn und die Sünde war geschehen. Sie sah, dass die Frucht des Baumes zum Essen gut und schön anzusehen wäre und sie nahm davon (Gen. 3,6). 


Daher versucht uns der Teufel zuerst zum Ansehen, hernach zum Verlangen, endlich zur Einwilligung