Freitag, 31. Januar 2014

Mittel, um zur Vollkommenheit zu gelangen

8. Wir wollen jetzt zur Übung der Mittel kommen, denn eben die Übung ist ja am Nützlichsten. Die Mittel zur Vollkommenheit zu gelangen, sind folgende: 

Das fortdauernde Kreuesopfer
Erstens das beschauliche Gebet, da man betrachtet, wie sehr Gott geliebt zu werden verdient, und die Liebe, die Gott zu uns getragen hat, zuvorderst in dem großen Werke der Welterlösung, wo ein Gott Sein Leben in einem Meere der bittersten Schmerzen und Verachtungen für uns opfert, ja, damit nicht zufrieden, Sich Selbst uns zur Speise gibt, um Sich unsere Liebe zu gewinnen. Diese Wahrheiten entzünden eine Seele nicht, es sei denn, man betrachtet sie.

In meiner Betrachtung hat sich ein Feuer entzündet (
Psalm. 38, 4). David sagt: wenn ich die unendliche Güte meines Gottes betrachte, werde ich angeeifert, Ihn zu lieben. Der heilige Aloisius Gonzaga sagte, dass eine Seele nie eine hohe Stufe der Vollkommenheit ersteigen werde, wenn sie nicht zuvor zu einer hohen Stufe des beschaulichen Gebetes gelangt ist. — 

Zweitens muss man den Vorsatz, in der göttlichen Liebe zuzunehmen, stets erneuern. Hierzu ist sehr nützlich, daß man sich vorstelle als ob jeder Tag der erste wäre, wo man den Weg zur Vollkommenheit antritt. So machte es David, der immer die Worte wiederholte: Ich habe gesprochen: Jetzt will ich anfangen (Psalm. 76, 11). 
Dies ist die letzte Lehre gewesen, die der heilige Abt Antonius seinen geistlichen Söhnen hinterlassen hat: „Meine Söhne," sprach er, „stellt euch vor, dass jeder Tag der erste sei, an dem ihr anfanget Gott zu dienen."— 

Drittens muss man eine immer wiederholte Erforschung der Mängel und Fehler anstellen, die in der Seele sind, aber eine scharfe Erforschung, wie der heilige Augustinus sagt, welche dem Gewissen nicht schmeichelt. „Es muss dir mißfallen, was du bist, wenn du werden willst, was du nicht bist, sonst," fahrt der Heilige fort, „wenn du an der Stufe, auf der du stehst, Wohlgefallen hast, wirst du auch auf ihr verbleiben; denn da du mit dir selbst zufrieden bist, wirst du die Begierde weiter zu kommen, verlieren." 

Hier setzt er den berühmten Ausspruch hinzu, der jenen Seelen großen Schrecken einjagen soll, die sich selbst gefallen, und geringe Sehnsucht haben, in der Tugend und Vollkommenheit zuzunehmen: „Da du gesagt hast," sind die Worte des großen Kirchenvaters, „mir genügt die Vollkommenheit, die ich habe, warst du verloren, weil auf dem Wege Gottes nicht vorwärts schreiten, so viel heißt, als rückwärts gehen," wie schon erwähnt worden, und wie es der heilige Bernardus mit kurzen Worten erklärt, da er schreibt: „Wer nicht zunehmen will, nimmt ab." 
Darum ermahnt uns der heilige Johannes Chrysostomus, dass wir an die Tugenden gedenken sollen, die uns mangeln, nie aber an das geringste Gute, das wir getan haben; denn an das Gute denken, sagt der Heilige, dient zu nichts, als uns auf dem Wege des Geistes träge zu machen, uns mit eitler Ehre zu erfüllen, und uns der Gefahr auszusetzen, alles Gewonnene zu verlieren. „Wer den Weg der Vollkommenheit läuft," fährt der heilige Chrysostomus fort, „berechnet nicht den zurück gelegten Weg, sondern jenen, den er noch machen muss, damit er zur Vollkommenheit gelange." 

Eifrige Seelen wachsen im Eifer, je näher sie zum Ziele des Lebens kommen, gerade: als grüben sie nach einem Schatze, wie der geduldige Job sich ausdrückte (Job. 3,21). „Die nach einem Schatze graben," sagt der heilige Gregorius, „beschleunigen die Arbeit um so mehr, je mehr sie schon gegraben haben, um bald zu dem ersehnten Schatz zu kommen." 
So bemühen sich auch jene, die nach Vollkommenheit streben, um so mehr weiter zu kommen, als sie bemerken, dass sie schon vorwärts gedrungen sind.

Siehe auch:
Durch welches Mittel alle Heiligen zur Heiligkeit gelangt sind